|
Schwab, G. 1998. Der Biber als Leitart für intakte Talräume. natur und mensch 3/98:22-25
Der Biber als Leitart für intakte Talräume Biberlebenraum: wer denkt da nicht an ein langsam fließendes oder stehendes Gewässer mir breitem Gehölzsaum, die Biberburg hervorragend in der Mitte des Bibersees und dazu der obligatorische Biberdamm. Eine Vorstellung, die von Biberberichten im Fernsehen und Bildern in Büchern geprägt ist, eine Vor- stellung, die ebenso schön wie falsch ist. Die meisten mitteleuropäischen Biber leben nicht in ungestörten, naturnahen Auwäldern, sondern in der Kulturland- schaft, zum Teil in Entwässerungsräben in ausgeräumten Agrarflächen oder sogar inmitten von menschlichen Siedlungen. Und sie leben dort nicht einmal schlecht. Der Biber in der Kläranlage (auch das kommt vor) – eine Leitart für intakte Talräume? Biber gestern Das Comeback der Biber Zuckerrüben, Mais und Getreide statt Mädesüß und Sauerampfer Direkte menschliche Nähe stört sie ebensowenig. Sie bauen ihre Dämme mitten in Dörfern, fressen im Herbst die heruntergefallenen Äpfel in Obstgärten und fällen im Winter Zwetschen- und Birnbäume vor Wohnzimmerfenstern. Auch mit einer massiven Versteinung von Ufern können sie leben. An der Donau unterhalb von Regensburg hat eine Biberfamilie ihre Burg einfach auf der Steinschüttung angelegt: eine Biberburg mit Fußböden aus bestem Bayer- waldgranit. Etwas exklusiver als die Betonröhre, die sich die Biber auf dem Gelände des Augsburger Flughafens als “Burg” ausgesucht haben. An ihre Grenzen stoßen Biber offensichtlich nur bei wirklich extremen Ver- hältnissen: auf langer Strecke in Beton gefaßte Gewässer ohne Ufervegeta- tion. An diesen Strecken ist dann auch für den anpassungsfähigsten Biber keine Ansiedlung möglich, sie werden aber, wie das Beispiel der Wien in der gleichnamigen Stadt zeigt, durchaus als Wanderstrecke genutzt. Nothabitate ohne Not Wo der Biber lebt, muß die Welt also nicht unbedingt in Ordnung sein. Intakte Talräume - ein Problem für den Menschen? Durchaus - nicht weil sie in diesen alles andere als intakten Talräumen zu- rechtkommen, sondern weil wir Menschen in diesen Lebensräumen nicht mit den Bibern zurechtkommen. Egal ob Kläranlage, Autobahnausfahrt, Obstgarten oder Entwässerungsgraben: in all diesen “neuen” Lebensräumen entfalten Biber ihre landschaftsarchitektonischen Fähigkeiten ebenso wie im ungenutzten Au- wald. Wenn Biber in kleinen Entwässerungsgräben Dämme bauen, um den Wasser- stand entsprechend ihren Anforderungen zu regulieren, dann vernässen und überfluten Äcker, Wiesen, Wege und Keller, setzen sich Drainageröhren zu und brechen durchnässte Ufer ins Gewässer ab – kein Problem für den Biber, aber für uns Menschen. Wenn Biber unter Feldern und Straßen in die Ufer graben, können Fahrzeuge in Biberröhren einbrechen, Straßen absacken, Felder von Biberkanälen durch- zogen werden, im Extremfall Dämme und Hochwasserschschutzdeiche brechen – kein Problem für den Biber, aber für uns Menschen. Wenn Biber dicke Eichen fällen, Bäume auf Straßen, Felder, Fahrzeuge oder Gebäude legen, teuer angelegte Neupflanzungen abholzen, liebevoll gepflegte Obstbäume umnagen und im Wasser liegende Bäume den Hochwasserabfluß behindern – kein Problem für den Biber, aber für uns Menschen. Den Gewässern mehr Raum lassen Der Biber zeigt uns so sehr deutlich, wo wir uns wieder etwas zurückziehen und den Gewässern mehr Raum lassen müssen. Raum nicht nur für den Biber, sondern Raum, den wir aus ganz anderen, viel dringenderen Gründen brauchen: als Pufferfläche gegen Eintrag von Dünger und Pflanzschutzmitteln aus der Landwirtschaft, als Flächen zum Hochwasser- und Grundwasserschutz, als Flächen für die Sanierung und Renaturierung von Auen, als Lebensraum für viele andere Tier- und Pflanzenarten. Raum um das zu schaffen, wovon letzt- endlich auch wir Menschen profitieren: intakte Talräume. In diesen kann dann auch der Biber leben und agieren, ohne daß wir mit ihm Probleme haben. Und er kann nicht nur darin leben, sondern er muß auch darin leben. Mit seinen Aktivitäten und deren Auswirkungen ist er wesentlich an der Gestaltung intakter Talräume beteiligt. Architekt und Zugpferd für den Naturschutz an Gewässern Durch das Zusammenwirken all dieser Aktivitäten schaffen Biber ein reich- haltiges, sich ständig änderndes Mosaik unterschiedlicher Kleinlebensräume mit erhöhter Artenvielfalt. Eine Dynamik, die ohne Biber fehlen würde, und die zu “intakten” Talräumen zweifellos dazugehört. So ist der Biber Leitart für und unabdingbarer Bestandteil von intakten Tal- räumen, nicht wegen seiner Lebensraumansprüche, sondern wegen seiner Fähig- keit, Lebensräume zu gestalten. Nur wo er dies tun kann, ohne daß wir Men- schen deswegen Probleme haben, haben Gewässer und Auen genügend Raum um sich zu entwickeln. Die "ökologischen" Aspekte sind aber nur ein Teil der Leitartfunktion des Bibers. Ebensowichtig ist die naturschutzpolitisch-gesellschaftliche Stellung des Bibers, die hier nur erwähnt sein soll. Er findet, wegen seines "knudel- ligen" Aussehens, aber auch wegen seiner unermüdlichen Aktivitäten bei großen Teilen der Bevölkerung Sympathie, zum Teil sogar bei denen, die unter ihm zu “leiden” haben. Damit ist er hervorragend geeignet, als “Zugpferd” Naturschutz an Gewässern und zu vermitteln und Akzeptanz zu schaffen für die großflächige Renaturierung von Talräumen, nicht nur zum Nutzen für ihn selbst, sondern vor allem auch für viele andere Arten und letztendlich auch zum Nutzen für uns Menschen. |